Cover
Titel
Propaganda and Conflict. War, Media and Shaping the Twentieth Century


Herausgeber
Connelly, Mark; Fox, Jo; Schmidt, Ulf; Goebel, Stefan
Erschienen
London 2019: Bloomsbury
Anzahl Seiten
XV, 350 S.
Preis
$ 180.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benno Nietzel, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

Spätestens der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat eindrücklich gezeigt, dass Krieg und Kriegspropaganda auch in Europa keine Phänomene der Vergangenheit sind. Vor diesem Hintergrund lesen sich die Beiträge des von Mark Connelly, Jo Fox, Stefan Goebel und Ulf Schmidt herausgegebenen Bandes zur Propagandageschichte des 20. Jahrhunderts unvermittelt aktuell. In ihrer Einleitung betonen die Herausgeber:innen, dass Wesen und Bedeutung von Propaganda während des gesamten letzten Jahrhunderts immer umstritten waren und uns die Diskussion darum bis heute nicht losgelassen hat. Welche Gefahr von politischer Propaganda ausgeht, wie demokratische Staaten damit umgehen sollen, diese Fragen sind im Zeitalter der „Fake News“ und Informationskriege aktueller denn je, ebenso die Frage, welche Wirkungen Propaganda eigentlich hat und wie man diese sichtbar machen kann. Methodisch plädiert die Einleitung dafür, hergebrachte Annäherungen an die Geschichte von Propaganda aufzubrechen und von der Fixierung auf hierarchische, lineare, vertikal organisierte Kommunikationsstrukturen staatlicher Einrichtungen im nationalen Rahmen zu einem Verständnis von Propaganda als eines komplexen und mehrdimensionalen Geschehens vorzudringen. Insbesondere die Rolle nicht-staatlicher Akteure, die transnationale Dimension von Propaganda sowie ihre unterschiedlichen Wirkungsebenen sollten daher stärker beachtet werden – offenbar ein Anspruch, der sich eher auf die Zukunft richtet, denn die hier versammelten Beiträge lösen ihn kaum ein.

Der Band enthält insgesamt 15 Beiträge und ist chronologisch in drei Teile gegliedert: drei Beiträge beschäftigen sich mit dem Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit, fünf mit dem Zweiten Weltkrieg und sieben mit der Zeit danach, vor allem mit dem Kalten Krieg. Allen drei Teilen haben die Herausgeber:innen noch kurze Einführungen vorangestellt, die durchaus nützlich sind, skizzieren sie doch auf knappem Raum die Forschung und nennen einige der wichtigsten Publikationen. Der breit formulierte Bandtitel wird dadurch etwas konterkariert, dass sich zwei Drittel der Beiträge auf Großbritannien beziehen. Ein klarer Schwerpunkt liegt außerdem auf der Geschichte von Filmpropaganda, der sich allein fünf Beiträge widmen.

Nur der erste Beitrag des Bandes von Stephen Badsey beschäftigt sich mit dem Ersten Weltkrieg und arbeitet heraus, dass die Publikation des in der britischen Kriegserinnerung fest verankerten „Amiens Dispatch“ Ende August 1914 über den Rückzug der britischen Truppen im französischen Frontgebiet keiner staatlichen Öffentlichkeitsstrategie entsprang, sondern eher der unklaren und unübersichtlichen Handlungssituation in den ersten Kriegswochen geschuldet war. Der Beitrag über die häufigen Besuche Churchills bei französischen Militärs während des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit, die zu seiner Überschätzung der französischen Verteidigungsfähigkeit im Angesicht des deutschen Einmarschs 1940 beitrugen (Antoine Capet), weist nur losen Bezug zum Bandthema auf, ebenso wie der folgende zur NS-Raubkunst (Ulf Schmidt/Katja Schmidt-Mai), der zwar kurz auf die propagandistische Verunglimpfung „entarteter“ Kunst im „Dritten Reich“ eingeht, aber eigentlich eher der Debatte um Provenienzrecherche und Restitution nach 1945 gewidmet ist.

Von den Beiträgen zum Zweiten Weltkrieg beschäftigen sich drei mit der britischen Filmgeschichte. Richard Taylor untersucht die Drehbücher des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas, die dieser für kurze, im dokumentarischen Stil gehaltene Propagandafilme schrieb, Jeffrey Richards gibt einen Einblick in die große Zahl heute weitgehend vergessener propagandistischer „B-Movies“ in britischen Kinos, die oftmals konkrete Akteure und Sequenzen des Kriegsgeschehens aufgriffen und dementsprechend eine recht kurze Halbwertszeit hatten. James Chapman analysiert die Filme des 1939 in die Vereinigten Staaten übergesiedelten und deswegen bisweilen als Verräter angefeindeten Alfred Hitchcock, in denen dieser sich mit dem Weltkrieg auseinandersetzt. Seine kriegsbezogenen Spielfilme und zwei kürzere Propagandafilme, die er in Großbritannien drehte, lösten indes durchgehend auch Kritik aus, da sie sich nur schlecht in die dominierenden Schwarz-Weiß-Schemata der Kriegspropaganda einfügten. Ein Beitrag von Marina Petraki beleuchtet die verdeckte Tätigkeit von Mitgliedern der britischen Special Operations Executive in Griechenland 1940/41, denen es gelang, vor dem Einmarsch der Deutschen noch umfangreiches Propagandamaterial in Umlauf zu bringen. Der Beitrag von Gaynor Johnson beschreibt den schwierigen diplomatischen Balanceakt des britischen Außenministeriums nach der Aufdeckung des sowjetischen Massakers an polnischen Offizieren in Katyn. Einerseits musste die britische Regierung auf die deutsche Auslandspropaganda reagieren, die das sowjetische Verbrechen lautstark ausschlachtete, sowie die Empörung der in London ansässigen polnischen Exilregierung auffangen. Andererseits galt es, einen Bruch mit der verbündeten Sowjetunion unbedingt zu vermeiden – ein Spagat, der nur höchst unbefriedigend bewältigt werden konnte.

Der erste Beitrag im dritten Teil schlägt den Bogen von der Kriegs- zur Nachkriegszeit. Katja Schmidt-Mai und Jonathan D. Moreno betrachten die schon recht häufig untersuchten Versuche US-amerikanischer Behörden an Insassen des US-amerikanischen Gefängnisses Stateville, mit denen Medikamente gegen die Malaria-Krankheit entwickelt werden sollten. Diese wurden durch das Magazin „Life“ mit einer Fotoreportage begleitet. Ein unerwarteter Twist in dieser Geschichte war, dass das Verteidigerteam im 1946/47 stattfindenden Nürnberger Ärzteprozess just diese mediale Darstellung als entlastenden Beweis dafür in Anschlag brachte, dass auch in den Vereinigten Staaten ethisch höchst fragwürdige medizinische Versuche durchgeführt wurden. Die verbrecherischen Menschenversuche in NS-Konzentrationslagern seien insofern keineswegs singulär gewesen. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit britischen Dokumentarfilmen der Nachkriegszeit, die im Auftrag des Ministry of Pensions die wohlfahrtstaatliche Versorgung von Kriegsveteranen ins Bild setzten (Julie Anderson) sowie der Tätigkeit des British Council im kommunistischen Polen der 1940er- und 1950er-Jahre. Dieser konnte seine Arbeit als einzige westliche Einrichtung der Kulturdiplomatie zur Überraschung selbst seiner eigenen Mitarbeiter durchgehend fortführen (Edward Corse). Der Beitrag von James Farley zum Bild des „Neuen Menschen“ im chinesischen Propagandafilm der 1950er-Jahre öffnet den recht engen thematischen Rahmen ein wenig, ebenso wie der historische Überblick von Nicholas J. Cull über die Geschichte der US-amerikanischen Kulturdiplomatie, die sich über weite Strecken als eine Selbstverteidigung gegen feindliche Propaganda aller Art legitimierte. Peter Johnston untersucht schließlich die Werbematerialien des britischen Militärs zur Gewinnung von Berufssoldaten zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren, in denen es hauptsächlich um Sport, die Möglichkeit zu Auslandsreisen und moderne Technologie, kaum aber jemals um Patriotismus oder politische Themen ging.

Nach diesen empirischen Beiträgen blickt Fabrice d’Almeida auf seine Tätigkeit als Berater der vielteiligen kanadischen Fernsehserie „Love, Hate and Propaganda“ zur Geschichte der Propaganda im 20. Jahrhundert zurück und wendet sich energisch gegen Tendenzen in der Forschung und der Öffentlichkeit seit den 1990er-Jahren, Propaganda als etwas zu sehen, das einer fernen Vergangenheit angehöre. Dieser Punkt wird noch vertieft im Epilog von David Welch, in dem dieser die Brücke vom Propagandageschehen des 20. Jahrhunderts zur Gegenwart schlägt. Diese ist vor allem durch fundamentale Veränderungen der Medientechnologie gekennzeichnet, die das Phänomen „Propaganda“ nachhaltig transformierten. Die gegenwärtig vieldiskutierte Erscheinung von „Fake News“ führt Welch auf die US-amerikanische Propagandakampagne im Vorfeld des Angriffs auf den Irak 2003 zurück, der mit haarsträubenden Falschbehauptungen legitimiert wurde. Das „Post-Truth“-Zeitalter der Gegenwart sieht er schließlich charakterisiert durch eine Atomisierung der Medienkultur und ihre Aufspaltung in geschlossene Communities, in der kaum noch autoritative Instanzen und Prozeduren zur Unterscheidung von Wahrheit und Nicht-Wahrheit existieren. Welch schließt aber nicht mit einer fatalistischen Endzeitstimmung, sondern beschwört auch die Möglichkeit einer pluralen, partizipativen Öffentlichkeit und die Widerstandsfähigkeit der Demokratie gegen politische Propaganda, für die gerade die Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht wenige Beispiele bereithält.

Dass Propaganda, wie die Herausgeber:innen in der Einleitung und den Einführungsteilen herausarbeiten, immer ein umstrittenes Konzept war, wird in den Beiträgen nicht aufgegriffen. Untersuchungen zu historischen Diskursen und Reflexionen über Propaganda, die eine historische Meta-Ebene adressieren würden, fehlen gänzlich. Stattdessen folgen die Beiträge allesamt einem unausgesprochenen Common-Sense-Verständnis von Propaganda, das nicht weiter problematisiert wird, und beschäftigen sich fast ausschließlich mit konkreten medialen Propagandainhalten und/oder Propaganda treibenden Institutionen. Als rein empirische Fallstudien angelegt, lesen sich die meisten der gut recherchierten Beiträge interessant und überzeugend, sie weisen aber konzeptionell nie über den untersuchten Einzelfall hinaus. In ihrer Gesamtheit stehen sie daher nicht für eine erneuerte, sondern eher für eine recht konventionelle Herangehensweise an die Geschichte von Propaganda.

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